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HMJokinen
Interventionen im Dritten Raum
 
Dieses E-Mail-Interview entstand im Dezember 2011.
Die Fragen stellte Nora Sdun.
 
 
Du befasst dich mit soziopolitischen Interventionen. Deine Projekte beschäftigen sich mit Kunst, Geschichte und Gegenwart im öffentlichen Raum. Wie stößt du auf deine Themen?
 
Ein zentraler Punkt meiner Arbeit ist die Frage nach dem Fremden und dem Eigenen und wie diese im Gesellschaftsraum interagieren. Ich bin in einer multiethnischen Familie aufgewachsen, und als Migrantin hier versuche ich, Ausdrucksformen zu finden für den Zustand, kulturell "dazwischen" zu sein. Welche künstlerischen Potenziale stecken im "Dritten Raum", wie Homi K. Bhabha es formulierte?
 
 
Woher rührt dein Interesse für Arbeiten im öffentlichen Raum?
 
Der öffentliche Raum ist obrigkeitlich definiert und kontrolliert, zugleich werden Funktionen und Zuschreibungen aber heftig umkämpft. Es geht schließlich um die Frage, wie es möglich ist, den öffentlichen Raum differenter, diskursiver und somit freiheitlicher zu gestalten.
 
 
Seit den 90er Jahren boomen Kartierungsprojekte, hast du eine Erklärung dafür?
 
Die klassische Kartographierung ist ein Machtinstrument, um Räume zu definieren, zu kolonisieren, zu kontrollieren. Herkömmliche Karten gaukeln Objektivität und technische Machbarkeit vor. Eigene Kartierungen, die Umfeld und Erfahrung, Raum und Handlung, Nähe und Distanz, Fremdes und Eigenes neu erleben lassen, können ungewohnte Perspektiven auf gesellschaftliche Zusammenhänge im Raum eröffnen sowie Vergessenes oder Verdrängtes sichtbar machen.
 
 
 
Du hast dich mit der Kartierung kolonialer Spuren in Hamburg befasst. Was für eine Rolle spielten die Denkmäler dabei?
 
Mich interessieren die Versprechungen und monolithischen Festschreibungen, Leidenschaften, Enttäuschungen und Bilderstürmereien, die sich an Denkmälern ablagern und verdichten. Wer definiert heute, was erinnert werden darf? Wie wirken Translozierungen und Transformationen auf die Botschaft von Denkmälern? Welche Bedeutung haben Denkmalstürze in einer globalisierten Gesellschaft? Kann ein Denkmal sein eigenes Gegendenkmal werden? Wie können zeitgenössische Antworten, beteiligende Dekonstruktionen, mobile, fluide Denkmäler im Sinne von Bhabhas "Drittem Raum" aussehen? Solchen Fragen bin ich in den Projekten afrika-hamburg.de und wandsbektransformance sowie in meinem Konzept für einen park postkolonial nachgegangen.
 
 
Wie entwickelt sich ein Projekt konkret, wen lädst du dazu ein?
 
Nur ein Beispiel: Im Projekt afrika-hamburg.de lud ich die ganze Stadt ein, indem ich das einst zwischen den Kontinenten hin und her gereiste, dann gestürzte und nun im Kellerdepot liegende Wissmann-Kolonialdenkmalensemble auf der Hafenpromenade auslüftete und ein Webforum zur Diskussion öffnete. Das wilhelminische Monument setzt die vermeintliche Überlegenheit eines weißen Offiziers gegenüber einem Schwarzen Soldaten ins Bild. Ich war gespannt, wie das Denkmal, durch viele Zeitschichten, Raumbewegungen und Bilderstürmereien beschädigt und in seiner ursprünglichen Botschaft gebrochen, heute auf die Menschen wirkt. Ich wollte heraus finden, ob die PassantInnen einfach daran vorbei laufen, ohne es zu beachten oder ob es womöglich eine Debatte auslösen könnte. Es brach eine regelrechte Kontroverse aus, die bei weitem meine Erwartungen übertraf.
 
 
Wie lange dauert so ein Projekt im Schnitt, von der ersten Idee bis zum Abschluss?
 
afrika-hamburg.de beanspruchte eine Vorbereitung von zwei Jahren mit intensiver Recherche, vielen Gesprächen mit KollegInnen, Reflektionen um angemessene Zeichensetzung, Begutachtung durch zwei Kunstkommissionen und schließlich behördlichen Verhandlungen, bis alle erforderlichen Genehmigungen erteilt waren - nicht nur, was die schwierige Statik auf dem sumpfigen Boden am Hafentor anging.
 
Für die Projektlaufzeit legte ich vierzehn Monate fest, um die Entwicklung einer Debatte zu ermöglichen. Gleichzeitig hatte ich die Auflage, mich um den Zustand des Denkmals zu kümmern. Dazu kam das tägliche Webmastering von teilweise recht kontroversen Postings. Die Nachbereitung und Dokumentation dauerten dann noch zwei weitere Jahre.
 
Es ist ein Teil meiner künstlerischen Arbeit, dass sich die behördlichen Dienststellen mit meinen Konzeptinhalten befassen. In der Schill-Ära verschwand mein Konzept in der Behördenschublade, und es brauchte den Politikwechsel, um das Projekt zu realisieren.
 
 
Würdest du im Zusammenhang mit deiner Arbeit von erfolgreichen und weniger erfolgreichen Projekten sprechen? Was bedeuten dir z.B. Besucherzahlen?
 
Auch wenn manche meiner Projekte eine Debatte ausgelöst haben, bin ich der Auffassung, dass Publikumszahlen nicht die Meßlatte sein sollten. Ich bin daran interessiert, dass sich etwas "ereignet", etwas in die Welt kommt, in dem Sinne, dass sich der Raum und die Beteiligten nach dem "Ereignis" verändert haben.
 
Gerald Raunig hat hierfür mit "spacing the line" eine schöne Metapher geschaffen. Er schreibt, dass alle Menschen "Linien", d.h. Grenzen im Kopf haben, also mit mehr oder weniger festen Anschauungen und Haltungen durch das Leben gehen. Künstlerische Interventionen im Stadtraum weiten diese Grenzlinien zu temporären Räumen aus, in denen gesellschaftlicher Dissens willkommen ist. Nach dem Projekt schließt sich der Raum wieder zu Linien, die in den Köpfen dann hoffentlich neu gezogen sind.
 
 
Führten deine Hamburger Projekte dazu, dass du nach Afrika gereist bist?
 
Ja, meine Projektreisen nach Tansania und Ghana und die intensive Zusammenarbeit mit KollegInnen dort haben meine Arbeit in den letzten Jahren stark geprägt. Dabei ist mir bewusst geworden, wie eurozentrisch unser hiesiger Kunstdiskurs ist. Schnell relativiert sich dort, was hier wichtig erscheint.
 
 
Deine Rauminstallation im Kunsthaus heißt zongo. caravans of hope. Du warst dieses Jahr wieder in Ghana und hast dort Menschen getroffen, die in zongo communities leben. Was ist ein zongo?
 
Ein zongo ist eine Hüttensiedlung, die entstand, als muslimische Händler mit ihren Karawanen auf der transsaharischen Route vom Norden Afrikas nach Ghana kamen und am Rande der Städte sesshaft wurden. "Zongo" ist das Hausa-Wort für "Karawane". Heute werden die zongo-BewohnerInnen von der Mehrheitsgesellschaft eher ausgegrenzt. Negative Zuschreibungen kursieren in den Medien. Studien zeigen aber, dass die Menschen ihr Lebensumfeld weitaus positiver sehen; sie fühlen sich frei und selbstbestimmt, trotz der vielen Alltagsprobleme. Die afrikanischen Städte wachsen rapide, so dass sich die Hüttensiedlungen heute in der Stadtmitte befinden. Diese werden vielfach Opfer von Gentrifizierung durch ausländische Investoren, so in Accra, doch die BewohnerInnen wehren sich.
 
Wir haben zunächst in zwei Stadtteilen - Old Fadama in Ghana's Hauptstadt Accra und Ayigya-Zongo in der Stadt Kumasi - recherchiert.
 
In Kumasi waren wir vom Center for African and Cultural Studies der Kwame Nkrumah University of Science and Technology (KNUST) eingeladen, das uns einen Workshopraum auf dem Campus zur Verfügung stellte, in dem wir mit KunststudentInnen und Postgraduierten gearbeitet haben. In der ersten Phase des Urban Art Workshops AWAY IS A PLACE erstellten wir gemeinsam eine Mindmapping-Karte mit Feinverästelungen der Kategorien "Natur" und "Recht auf Stadt". Dann suchten wir den Kontakt zu den Menschen im nahegelegenen Stadtteil Ayigya-Zongo. Der Ältestenrat gab hierfür die Genehmigung, und wir haben gemeinsam mit den BewohnerInnen gearbeitet. Wir erfuhren hier einen unvergesslich zuvor kommenden Empfang.
 
 
An welchen Themen habt ihr im Stadtteil gearbeitet? Und wie schätzt du die Nachhaltigkeit dieses Workshops ein?
 
Ayigya Voices präsentiert Porträts und Interviews mit sechs Frauen. Insbesondere die Frauen engagieren sich für die Belange des Stadtteils. Ich erhielt die Erlaubnis, die Arbeit als Plakate im Stadtteil zu zeigen. Bald schlugen PassantInnen vor, die Frauen sollten doch bei den nächsten Bezirkswahlen kandidieren, denn ihr Wahlprogramm stehe ja schon auf den Aushängen. Bisher liegt die Stadtteilverwaltung von Ayigya-Zongo fest in Männerhand.
 
In der Arbeit Scorched Pastures zeige ich Ansichten und Fundstücke aus Old Fadama, wo enorme Mengen von Giften frei gesetzt werden, wenn Kinder und Jugendliche Computerplastikkabel verbrennen, um an das darin verarbeitete Kupfer zu gelangen. Wo Menschen ohne Werkzeug unseren Wohlstandsschrott auseinander nehmen, um kleine Mengen Wertstoffe weiter zu verkaufen. Der Ort, einst Garten und Weideland, ist heute karg und müllübersät. Weitere Aufnahmen über die Wege des Elektroschrotts entstanden bei Hamburger Schrotthändlern und im Hafen.
 
Troubled Waters fing mit Wasserproben von drei einprägsamen Orten an, die zu einer Installation wuchsen mit Wasseranalysen und mikroskopischer Photographie, vermischt mit Gedichtfragmenten und auch mit Gemälden des Künstlers Ayasco, der Reklameschilder malt. Mit Kodwo Edusei von der KNUST-Universität fertigte ich Abwandlungen der traditionellen Fante-Asafo-Flaggen an.
 
Ja, wir stellten uns die Frage, wie nachhaltig ein solcher zeitlich befristeter Workshop sein kann. Da man an der KNUST neben Kunst auch Stadtplanung, Architektur, Soziologie, Sozialarbeit und ähnliche Disziplinen studieren kann, trugen wir den Wunsch der BewohnerInnen von Ayigya-Zongo nach Unterstützung vor. Der Vorschlag stieß auf Interesse. Geplant ist nun zunächst, die Finanzierung von Bohrlöchern für Trinkwasserbrunnen an mehreren Stellen des Stadtteils zu sichern. Und die Künstlerin Ralitsa Diana Debrah plant mit den Frauen einen Gemeinschaftsgarten, der die vielen arbeitslosen Jugendlichen integrieren und die Lebensmittelversorgung verbessern will.
 
 
 
 
 
 
1 Rutherford, Jonathan. 1990. The Third Space. Interview with Homi Bhabha. In: Ders. (Hg):
Identity: Community, Culture, Difference. London: Lawrence and Wishart
 
2 Raunig, Gerald, 1999. Charon. Eine Ästhetik der Grenzüberschreitung. Wien: Passagen
 
3 Asafo Companies waren Kriegerbünde im Fante-Land im Süden Ghanas. Auch heute noch sind die Vereine in der Organisation religiöser Feste aktiv. Der spektakuläre Tanz mit einer der Vereinsfahnen, welche Ereignisse aus der Geschichte zeigen, gehört zentral dazu.
 
 
 
 
Im Rahmen des Programms Jahresstipendium für Bildende KünstlerInnen erscheint ein von der Kulturbehörde Hamburg herausgegebener Gesamtkatalog, indem die oben beschriebenen Arbeiten von HMJokinen, die 2011 in Ghana entstanden, vorgestellt werden.
 

 
 
 
 
 
 
 
 
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